Bohemians 1905 Praha  - SK Slavia Praha 0:3

03.03.2019

Czech Liga Stadion Dolicek

Zuschauer: 4.959 (ca. 150 Gäste)

 

 

Soll ich? Soll ich nicht? Soll ich...??

Die Frage aller Fragen stellte ich mir unmittelbar nach dem Wachwerden und trage den inneren Konflikt, das 10:15 Uhr-Spiel bei Viktoria Zizkov mitzunehmen, eine Weile mit mir selber aus.

Einen sonntagvormittäglichen Kick in Prag zu finden, sollte eigentlich kein Problem sein, an diesem Wochenende allerdings schon, denn leider startet alles unterhalb von Liga 2 erst in einer Woche, sodass die Auswahl heute sehr klein ausfiel, um nicht zu sagen – gen Null tendierte.

Folgerichtig gab es ein starkes „Nein“, da ich 2014 schon bei Viktoria Zizkov war, das Stadion sich seitdem nicht verändert hat und mir schlichtweg also trotz aller Liebe zum Fußballsport so ein wenig die Motivation fehlt.

Da bleibe ich doch lieber wie ein verlauster Backpacker in meiner Unterkunft und liege sinnlos auf dem Bett herum statt mich an vormittäglicher Klobasa und Pivo zu laben. Bestraft werde ich natürlich insofern, dass ich ein flottes 4:1 verpasse. Geschieht mir recht.

Irgendwann aber mal los ins Herz der tschechischen Hauptstadt, wo im Stadtteil Vrsovice der heute zu besuchende Ground steht. Das Auto kann kostenneutral an der Hauptstraße vorm Stadion geparkt werden und schon bei dem Erspähen der Haupttribüne aus einiger Entfernung kriege ich Bock auf Fußball. Das Dolicek (zu Deutsch: Mulde) ist schön ins Stadtviertel integriert, was baulich so einiges an Einfallsreichtum benötigte, was wiederum zu einem gehörigen Maß an Individualität führt. Ein Großteil der insgesamt nur aufzunehmenden 5.000 Zuschauer findet auf der Haupttribüne Platz, hinter dem Tor findet sich der Fansektor, in dem sich mittig Steh- und in den Außenbereichen Sitzplätze finden, was aber insofern egal ist, da zumindest heute hier eh jeder das Spiel stehend verfolgt. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich kein Ausbau, während sich auf der Geraden noch einige Sitzschalen inklusive des kleinen Gästebereichs befinden.

Ich lungerte jedenfalls schon mehr als zwei Stunden vor Anpfiff am Stadion herum und außer ein Dutzend Heimfans, welche bereits die geplante Choreo vorbereiteten, war hier natürlich noch kaum etwas los. Also mal etwas umhergelaufen; das Stadion des Gastvereins befindet sich maximal 15 Gehminuten entfernt, wo ich mal vorbeischaute und im angrenzenden Tesco-Markt etwa Proviant bzw. ein paar kulinarische Mitbringsel für meine bessere Hälfte besorgte (die aber im Endeffekt zu 90% dann doch wieder von mir gegessen werden, hehe).

Irgendwann zurück am Dolicek erreichte auch der etwa 100 Mann/Frau starke Slavia-Haufen begleitet von ein paar Bullenautos das Stadion. Insgesamt kein besonders furchterregender Ostblockmob, sondern eher sehr jung und spätestens hinter der ersten Reihe ein völlig gemischtes Honza-Klientel. Pöbeleien oder gar Aggressionen in Richtung Heimanhang tendierten ebenfalls gegen Null. Naja, ist halt immer noch Tschechien.

Anschließend ging’s dann auch für mich mal so langsam ins Stadion. Auf dem Vorplatz hinter der Tribüne herrscht ein cooles Gewusel. Es riecht nach gegrilltem Fleisch und natürlich labt man sich schon am kühlen Pivo. Ich tue es dem gleich, wobei die Klobasa picante ganz vorzüglich mundet und ohne weiteres auch hiesiger Fettgehalt-Norm gerecht wird.

Spulen wir etwas vor und kommen zum Spiel, denn selbiges wird vom Heimanhang mit einer netten Choreo eingeleitet. Eine aufwendige Beschreibung spare ich mir mal, wozu gibts denn weiter unten Fotos dazu? Leider bleibt mir bis heute der volle Hintergrund bzw. die Aussage der Choreografie leicht unklar, denn weder ein Übersetzungsprogramm noch der angesprochene Tscheche neben mir lieferten zufriedenstellende Antworten, wobei dies im letzten Fall eher an meinen geringen Tschechischkenntnissen bzw. seinen geringen Englischkenntnissen lag.

Wer also der tschechischen Sprache mächtig ist.... immer gerne melden!

Von Seiten der Gäste kam zu Spielbeginn und auch während der 90 Minuten außer sporadischen Gesängen und Gepöbel eigentlich nichts. Gut, der langgezogene aber flache Block ist für starken Tifo alles andere als geeignet und das begrenzte Gästekartenkontingent sorgte zudem dafür, dass man mit knapp 200 Leuten hier kaum nennenswerte Akzente setzen konnte.

Das Spiel startete furios, denn die Bohemians gingen in der 25. Minute mit 1:0 in Führung. Naja, dachte man kurz, denn die Formung eines Viereckes durch Schiedsrichterhände nach einem Tor verheißt normalerweise wenig Gutes. Videobeweis!

Und tatsächlich wurde der in meinen (und in den Augen der restlichen Heimfans) völlig korrekte Treffer aberkannt.

In den folgenden Minuten überschlagen sich nun die Ereignisse ein wenig. Statt Wiederanpfiff gibt es also Abstoß und wenige Sekunden später kommt ein Slaviaspieler vorm gegnerischen Tor zu Fall.

Ein Pfiff und Elfmeter, welcher dann zur 1:0 Gästeführung verwandelt wird. Die Grünweißen rasten nun verständlicherweise gut aus, unzählige Becher fliegen auf den Platz bzw. auf Gästespieler, ehe man sich mit voranschreitender Zeit wieder beruhigt und sich mit den Machenschaften der „Wettmafia Praha“ abfindet.

Supportet wird das aufopferungsvoll kämpfende Team natürlich weiterhin ( in Hälfte zwei dann zusätzlich mit einer schönen Pyroshow), doch der Kader vom Europaleague-Teilnehmer Slavia verfügt dann doch über etwas mehr individuelle Klasse und kann am Ende einen souverän eingefahrenen Sieg mitnehmen.

Abschließend noch ein paar Worte zum Verein Bohemians 1905 und dessen Fans. Man fragt sich natürlich, weshalb das Wappen ein Känguru ziert, so verbindet man dieses nun nicht gerade mit Tschechien.  Die Begründung liegt darin, dass im Jahre 1926 der australische Fußballverband zunächst die tschechoslowakische Nationalmannschaft, nach deren Absage Slavia Praha und später dann Viktoria Zizkov zu einem kleinen Freundschaftsturnier ins Koalabärland einlud.

Keiner wollte jedoch diesen langen Trip auf sich nehmen – außer der kleine Verein AFK Vrsovice, welcher sich aber für australische Zungen als ein unüberwindbares Aussprachehindernis darstellte und fortan einfach Bohemians genannt wurde. Nach der Rückkehr trug man diesen Namen einfach weiter und hatte zusätzlich zwei lebende Kängurus mit im Gepäck – ein Gastgeschenk der australischen Regierung.

Neben dieser etwas individuellen Geschichte ist auch der Anhang individuell, denn die Szene ist politisch deutlich linksalternativ, was auch in CZ eher die Ausnahme ist. Insgesamt habe ich das Publikum sehr heterogen wahrgenommen, vom Punk zum Hippie über den Hochschulprofessor bis zur Großmutter war hier alles vertreten – stets verbunden durch den Geruch von Weed quer durch den Heimsektor. Mir hats jedenfalls gefallen hier, sympathischer Verein.

Weniger gefallen hat mir die Aussicht auf 750 km Heimfahrt, die jetzt noch vor mir stand. Aber was solls? Es ist Teil dieses Hobbys und letztlich waren die Straßen frei, sodass es entspannt via Dresden, Leipzig, Magdeburg, Hannover usw. heimwärts ging und ich nach ein paar Folgen „Fest und Flauschig“ um wenige Minuten nach Mitternacht meinen zuverlässigen roten Rennwagen wieder in der heimischen Garage parkte.